Nehmen die Maschinen mit ihrer künstlichen Intelligenz den Recruitern den Job weg? Nun, es kommt wie immer darauf an.
Wenn es Ihr Job ist, nach passenden Profilen auf LinkedIn zu suchen und die Kandidaten anzuschreiben, dann würde ich mir Sorgen machen. Sollte ihr Job jedoch hauptsächlich darin bestehen, Menschen zu überzeugen, eignungsdiagnostisch zu prüfen und durch einen komplexen Recruiting-Prozess zu begleiten, dann mit Sicherheit nicht.
Wir bieten unseren Kunden Unterstützung durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz an. Unter anderem haben wir eine Schnittstelle zu der KI Watson (ja, die ganz Intelligente von IBM), die es uns ermöglicht, dem Recruiter gemeinsam mit dem zeitversetzten Interview eines Kandidaten, ein Persönlichkeitsprofil nach dem BIG-5-Modell dieser Person auszuspielen.
Ganz ohne die üblichen 240 Fragen, deren Intention sich leicht ableiten lässt – oder was denken Sie, was man bei der Aussage wie „ich bringe angefangene Projekte immer zum Ende“ ankreuzen soll, wenn man einen Job haben will? Die Technologie analysiert den Sprachgebrauch des Kandidaten, matcht ihn gegen eine riesige Vergleichsgruppe und ordnet ihn entsprechend ein. Ganz automatisch.
Klingt das nicht gleichzeitig gruselig und großartig? Gewiss.
Einige Recruiter haben in den letzten Monaten Bedenken geäußert, dass solch Mechanismen Ergebnisse aus einer Blackbox hervorzaubern und gleichzeitig in Kompetenzbereiche erfahrener Recruiter vordringen und diese gar bald obsolet machen.
Ist dem so? Keineswegs!
Und ich beleuchte gerne, warum.
Einen neutralen und nicht durch Effekt der sozialen Erwünschtheit gefärbten Einblick in die Persönlichkeitsausprägung eines Menschen zu erhalten, stellt definitiv einen Mehrwert dar. Nur kann und darf eine Maschine keineswegs aufgrund dieser Befunde eine Einstellungsentscheidung treffen, denn:
Relevant für den Erfolg im Beruf sind weniger die Persönlichkeitseigenschaften eines Menschen, sondern vielmehr die Strategien und Taktiken, die er entwickelt hat, um eine Brücke zwischen sich und seiner Umwelt zu bauen. Diese Handlungstaktiken werden allgemein als Kompetenzen bezeichnet.
Ein Beispiel: Einer der 5 Persönlichkeitsdimensionen des BIG 5 Modells ist die Gewissenhaftigkeit und ist weithin als Prädiktor für Berufserfolg bei vielen Berufsbildern anerkannt. Personen mit hohen Gewissenhaftigkeitswerten handeln in der Regel sorgfältig, zuverlässig und überlegt. Menschen mit niedrigen Ausprägungen eher spontan und oft ungenau.
Der Autor dieser Zeilen gehört von seiner Anlage her zu der zweiten Gruppe. Dies macht es mir schwieriger, Aufgaben, die Genauigkeit und sehr hohe Konzentration erfordern, fehlerfrei zu bewältigen und bringt Vorteile im Bereich der kreativen Lösungsfindungen.
Bedeutet dies, dass man aus mir nicht einen guten Controller oder Bauzeichner machen könnte? Nicht wenn ich Strategien entwickele, wie ich meiner Tendenz zu Flüchtigkeitsfehlern begegne und meine Arbeit ab und an doppelt prüfe. Dafür entwickle ich vielleicht irgendwann einen Bauträger, der stabiler ist als Andere, weil er z.B. einen neuartigen Materialmix beinhaltet. Nun ist alles anders gekommen, aber das ist eine andere Geschichte!
Umgekehrt kann ein sehr gewissenhafter Mensch lernen, auch mal 5 gerade sein zu lassen und Regeln zu hinterfragen. In manchen Jobs durchaus wertvoll.
Man kann die Persönlichkeit der Menschen schwer ändern, aber man darf nie unsere (positive!) Anpassungsfähigkeit unterschätzen! Diese führt zu beruflichen Handlungskompetenzen und die sind es, die Menschen in beruflichen Kontexten erfolgreich machen.
Hier möchte ich den Bogen zu den besorgten Recruitern schlagen: Seht die Künstliche Intelligenz als eine Bereicherung, als einen Gesprächseinstieg in ein persönliches Interview.
Stellt die richtigen Fragen nach in der Vergangenheit bewältigten Problemen und dem Gelernten und vor allem: stellt die Kandidaten vor relevante Aufgabenstellungen und schaut den Menschen beim Handeln/Problemlösen zu!
Zeigt einem Controller drei Jahresbilanzen unterschiedlicher Unternehmen und fragt ihn, warum er in welches investieren würde.
Fragt einen Vertriebsaußendienstler, warum man nicht das Konkurrenzprodukt für die Hälfte kaufen sollte.
Macht ein Rollenspiel mit einem Azubi und schaut, wie er mit Kundenreklamationen umgeht.
All dies geht übrigens prima und effizient mit Video Recruiting! Es wird aber immer einen Menschen brauchen, der die Antworten der Kandidaten inhaltlich bewertet und mit den spezifischen Anforderungen der jeweiligen Position abgleicht.
Der Einblick, den wir über Watson liefern, bietet einen Gesprächseinstieg und genau da fängt die Arbeit eines erfahrenen Personalers an.
Hier trifft High Tech auf Empathie, Erfahrung und Intuition – High Touch eben!
Während ich überlege, welchen Kollegen ich bitten werde, diesen Blog auf Flüchtigkeitsfehler zu überprüfen, wünsche ich euch wie immer
Happy Hiring!